Hier ein weiterer Ausschnitt aus meinem satirischen Roman „Der Anfang vom Ende der Ewigkeit.“, dessen Protagonist Hochreiter sich mit der sicheren Endlichkeit des eigenen Lebens und dem fraglichen Überleben der Menschheit an sich beschäftigt:

„… Warten, einfach warten. Auf den nächsten Urknall, wenn sich unser Universum wieder zusammenzieht auf den kleinsten Punkt, alle Masse ein Nichts wird und dann wieder auseinander fliegt und dann wieder sich zusammenzieht und dann wieder … oder es dehnt sich weiter und weiter und weiter aus, bis es unendlich verdünnt wie homöopathische Lösungen einen neuen Impuls aus dem Jenseits hinter einer übergelagerten Membran anzieht, streng osmotisch ohne Plan und von dort die Zündung eines neuen Urknalls startet.

Passiert wohl ungefähr alle 20 Milliarden Jahre. Haben Wissenschaftler genau berechnet. Hatte Hochreiter bei Professor Fesch im Fernsehen gelernt. Vorher aber geht unserer Sonne das Licht aus in 4 Milliarden Jahren, bis dahin sollte die Menschheit in diesem oder einem anderen Universum einen anderen Lebensplatz gefunden haben für die nächsten 15 Milliarden mal 365 Tage. Aber wer glaubt schon daran, dass wir es bis dahin überhaupt schaffen? Hochreiter jedenfalls nicht. Sicherer war für ihn die Selbstauslöschung in absehbarer Zeit, wenn die unerträglichen Folgen der Zerstörung und Umwandlung von Planet Blau zu Planet Grau die globalen Selbstmörder auf den Knopf drücken lassen.

Die Geschichte menschlichen Lebens auf der Erde war nicht mehr als eine bunt schillernde Schliere auf einer Seifenblase, die eine Millisekunde davor war zu zerplatzen. Die Menschen hatten versäumt, sich einen Sinn zu suchen jenseits von Macht und Bedeutung. Und Reichtum. Und Neid. Geboren aus der Gier nach mehr und immer mehr. Durchgesetzt mit brutaler Gewalt und Rücksichtslosigkeit. Nach mir die Sintflut, jeder ist sich selbst der Nächste.

Ein Programmierfehler von Mutter Natur. Fressen oder gefressen werden. Religionen konnten und wollten daran nichts ändern. Sie wurden, davon war Hochreiter überzeugt, ja erfunden, um Macht über Menschen auszuüben, um Profit und immer mehr Profit zu erwirtschaften. Die angeblich so menschenfreundlichen Programmteile im Islam, Juden- und Christentum unter dem Motto Nächstenliebe waren nur dazu da, von der wahren Herrschaftsfunktion der Lehre abzulenken. Gottesfurcht als Vehikel für den Erhalt von Machtsystemen. Die Sehnsucht der Menschen nach einer Antwort auf die Frage ihrer Existenz missbraucht, um sie zu knechten. Manipulierte Gefolgsleute, die Ideologien folgen, die die Welt zerstören.

Politische Rattenfänger haben das gut durchschaut und mit beängstigendem Erfolg kopiert. Die faschistischen, sozialistischen und kommunistischen Ersatzreligionen versprachen Erlösung und Heil. Das Resultat war wieder Versklavung und millionenfacher Mord. Das Ende der Staatsreligionen im Westen nach der Aufklärung, der Monarchien nach den Revolutionen, der furchtbaren Staatsutopien im Osten, führten für Hochreiters kleinen Verstand geradewegs in die Sackgasse des puren materialistischen Kapitalismus. Befreit von jedem Sinn, außer dem, mehr zu haben, und immer noch mehr, noch größer, noch schneller, noch teurer aller Endlichkeit der Ressourcen zum Trotz taumelt das Raumschiff Erde mit seiner irre gewordenen Besatzung in den Abgrund. Dem allgewaltigen Gott des Wachstums huldigend.

Das Floß der Medusa treibt verloren im All. Die letzten Vorräte sind aufgebraucht. Kein Wasser zum Trinken, keine Nahrung zum Essen, keine Luft zum Atmen.

Hochreiter war mit seinem Latein am Ende. Welche Philosophie könnte den Wahnsinn beenden? Wie könnte der Mensch sich umprogrammieren, die eingebaute Selbstzerstörung außer Betrieb nehmen? Die Besinnung auf die wirklichen Werte des Lebens und die Schönheit des Seins trotz der Endlichkeit, das wäre ein Ansatz. Im Zen-Buddhismus wären wohl Ansätze und Wege dahin zu finden. Hochreiter hatte sich damit länger beschäftigt, als eine Freundin sich völlig ekstatisch in asiatischer Esoterik erging.

Meditationen über das jetzt und hier, das Werden und Vergehen, das Sein und das Nichts und die Erkenntnis, dass der Sinn des Lebens die Suche nach ihm ist und also für jeden in nichts anderem besteht, als für sich einen Sinn zu suchen, der außerhalb materieller Dinge liegt. Das alles war einmal sein Hobby. Es war ihm ein Fest, zu erkennen, dass wir nichts als kurzzeitig belebter Sternenstaub sind, tanzende Moleküle auf der Reise in die Unendlichkeit, Eintagsfliegen mit dem Bewusstsein ihrer Vergänglichkeit. Unglücklich, verzweifelt und trotzdem voller Freude, weil sie gerade deswegen ihre Existenz genießen und das Gück finden, wenn auch die anderen im Frieden mit sich sind.

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Es ist ein Gott der Gier, der die Menschen antreibt. Die Gier nach Reichtum, Ruhm, Macht, Erfolg, Schönheit … Gier frisst Hirn und was dabei herauskommt, sehen wir überall, hier in diesem Dorf, dieser Stadt, diesem Land, dieser Welt. Und die Religion dieser Gier nennt sich „freier Markt“ oder heißt ungeschönt Kapitalismus. The Rat Race … Die Sucht, immer mehr zu haben als Selbstzweck ohne jeglichen Wert und ohne Vision.

Wenn man sich trösten will: Die Gier erschafft und löscht auch alles aus, dachte Hochreiter zynisch. Schaut man sich die Erde mit ihrer dünnen Lufthülle von einer fiktiven Sternwarte vom Mond aus an, ist es wie bei Bakterien in der Petrischale: Ein gefräßiger Schimmelpilz namens Menschheit saugt alles Verwertbare heraus und vergiftet seinen Lebensraum mit seinen eigenen Ausscheidungen.

Das geht nicht mehr lange gut, war Hochreiter überzeugt, und es ist ja in der großen Geschichte des Lebens noch nie gut gegangen. Wenn aber das Prinzip des Lebens die Gier ist, dann ist der Sinn des Lebens der Tod. Denn sonst könnte es kein Leben geben. Endlose Gier ist bei endlichen Ressourcen unmöglich. Und natürlich auch offiziell als egoistisch und asozial verrufen, genau von denen, die Wasser predigen und Wein trinken, dachte Hochreiter bitter. Aber so ist die Natur: Fressen und gefressen werden, „survival of the fittest“, alles für die Cleverles, die Banker, Immobilienmakler, Versicherungsvertreter, Drecksäcke, Arschlöcher … Nach uns die Sintflut? Leider nein, sieht ganz so aus, als ob wir alle in der Sintflut untergehen. Die Flut unserer Sünden gegen die Natur, die steigenden Meere, Stürme, Regenmassen und Dürre ihre erbarmungslose Antwort. Wenn der Mieter die Heizung weiter und weiter hochdreht, muss er sich über die Höhe der Nebenkostenabrechnung nicht wundern.

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Die Kamera fährt nach oben in den Himmel, die Erde wird kleiner und kleiner, das Sonnensystem, die Milchstraße. Ein kleiner Wirbel in der Form eines Ammoniten … In dem Moment, als das Projektil Hochreiters Schädel zerreißt, prallt weit draußen eine kleine Kugel auf eine etwas größere und gibt ihr einen leichten Schubs. Diese ändert ihre Bahn nur minimal und nimmt gelassen Kurs auf die blaue Murmel auf dem Kiesweg. In siebzehn Jahren, drei Tagen, fünf Stunden, vier Minuten und zwanzig Sekunden schlägt sie mit der dreißigfachen Wucht des Dinosaurierkillers hier auf dem uralten Kalkriff namens Schwäbische Alb ein. Das Klimaproblem hatte sich erledigt.

Ein Bild aus seinen Albträumen, die ihn manchmal auch tagsüber heimsuchten, tauchte zum wiederholten Male aus den Untiefen seiner Synapsen auf: Er betrachtet die Erde von seiner imaginären Mondsternwarte aus. Er sieht die schöne blaue Perle im unendlichen schwarzen Meer des Universums treibend. Das Floß der Medusa. Ein Experiment, Petrischale in einem Labor: Auf der Oberfläche einer mit Wasser benetzten Steinkugel wuchert simpler Schimmelschleim, vergiftet den Nährboden mit seinen Ausscheidungen. Der Pilz tötet sich, in dem er seinen Wirt tötet.

Genau so handelt der Mensch, seit es ihn gibt. Er hat sich die Erde in kürzester Zeit gierig unterworfen. Er beutet sie und alles Leben darauf aus, sät den Tod in alle Elemente und muss darum mit ihr untergehen. Heiße Stürme brausen über den Planeten. Die grünen Lungen sind unheilbar von Krebs befallen. Das Eis der Pole schmilzt schneller und schneller. Die leer gefischten, mit Plastikmüll gefüllten, stinkenden Meere steigen und überfluten die Küsten. Die Wüsten der Kontinente wachsen und fressen das letzte Ackerland. Hunger und Durst lösen mehr und mehr Kriege aus um die letzten nicht vergifteten Wasserstellen, die letzten fruchtbaren Böden. Heilige oder Unheilige. Das ist nicht mehr die Frage, endlich nicht mehr, denn niemand wird das mehr bewerten.

Es sind dies die letzten Kriege der Menschheit. Atompilze blühen über den Metropolen auf. Das Leben in der hauchdünnen Membran zwischen dem Höllenfeuer des Erdinnern und der Eiseskälte des Alls ist schnell hinweggefegt. Geplatzt wie eine schillernde Seifenblase nach Sekunden Universumszeit. Und dann, wenn die schützende Atmosphäre endgültig weg ist, schlagen die Trümmerreste des Urknalls aus den Tiefen des Alls ungehindert auf der Erde ein. Alles wird zermalmt und die Erde wird wüst und leer und voller Krater sein wie der Mond. Das Erbe allen Lebens wird vernichtet, die letzten Spuren einer ebenso genialen wie wahnsinnigen Kreatur verbrennen zu Asche, zerbröseln zu Sand, zu Staub und verwehen … „